
Die Spielregeln in der SaaS-Welt verändern sich gerade still und radikal.
Was früher ganze Teams, Jahre an Entwicklung und Millionen an Funding brauchte, kann heute in wenigen Tagen mit KI-Coding-Tools wie Cursor, Claude oder Windsruf gebaut werden. Einzelne Entwickler klonen komplexe Produkte, bringen eigene Micro-Tools auf den Markt – und stellen damit das traditionelle SaaS-Modell in Frage.
Ist das der Anfang vom Ende großer Softwarehäuser?
Die neuen Werkzeuge: Cursor, Claude & Co. als Gamechanger
Ich beobachte seit Monaten, wie sich rund um Tools wie Cursor, Claude oder Windsurf eine neue Dynamik entwickelt – und ich glaube, viele unterschätzen, was hier gerade passiert.
Diese Tools sind keine netten Assistenten für den Code-Alltag. Sie verändern fundamental, wie Software entsteht. Man spricht bereits von „vibe coding“ – also vom Entwickeln im Flow, mit Unterstützung von KI, die nicht nur Code ergänzt, sondern auch mitdenkt, testet, iteriert. Das fühlt sich an wie ein intelligenter Pair-Programmer, der nie müde wird.
Die Geschwindigkeit, mit der heute gebaut wird, hat sich vervielfacht.
Was früher als „SaaS MVP“ gegolten hätte, ist jetzt ein Wochenendprojekt.
Ein Beispiel, das mich besonders beeindruckt hat: Ein einzelner Entwickler hat mithilfe des Tools Lovable in wenigen Tagen eine schlanke, aber funktionale Alternative zu einem Feature von Docusign gebaut – ganz im Stil von vibe coding. Das Tool war einsatzbereit, schön gestaltet – und funktionierte. Die Reaktion? Ein Cease-and-Desist-Schreiben von Docusign, kurz nach dem Launch.
Der Tweet dazu ging viral – und war für mich ein Symbol dafür, wie sich das Machtverhältnis verschiebt. (Quelle)
Es zeigt: Selbst große, etablierte SaaS-Firmen können heute in Tagen herausgefordert werden – von Einzelpersonen, die die neuen Werkzeuge effektiv nutzen.
Und das ist erst der Anfang.
Das Ende des Burggrabens? Wie KI das SaaS-Moat auflöst
Ich habe lange geglaubt, dass ein gutes SaaS-Produkt sich durch seine technische Tiefe, Komplexität und Infrastruktur schützt. Es gab diesen berühmten „Moat“ – also den Burggraben, der ein Produkt schwer kopierbar macht. Aber ich glaube, genau dieser Schutz verschwindet gerade. Und das leise.
Besonders Tools wie Cursor und Plattformen wie Lovable beschleunigen diese Entwicklung massiv. Cursor ist nicht einfach ein KI-Coding-Tool – es fühlt sich an wie ein Turbo für Entwicklerhirne. Die Geschwindigkeit, mit der damit gebaut, getestet und iteriert werden kann, ist atemberaubend. Und Lovable? Damit lassen sich innerhalb von Stunden polierte, funktionierende Tools veröffentlichen – direkt aus dem Flow heraus.
Selbst komplexere Anwendungen lassen sich heute nicht mehr nur denken, sondern auch schnell umsetzen – mit Tools, die eigentlich für Spaßprojekte gedacht waren.
Früher hätte man dafür ein Team gebraucht. Heute reicht manchmal ein Wochenende und ein klarer Fokus.
Und dann kommt natürlich die Preisfrage:
Warum sollte ich als Nutzer 29 oder 49 Euro im Monat für eine große SaaS-Plattform zahlen, wenn ich mir die eine Funktion, die ich wirklich brauche, entweder selbst bauen oder in einem kleinen Micro-Tool für einen Bruchteil finden kann?
Natürlich ist das nicht die Realität für alle.
Nicht jeder hat die Zeit, das Wissen oder die Motivation, sich eine eigene Lösung zusammenzubauen. Und genau das ist auch die große Spannung in dieser neuen Welt: Der theoretische Zugang ist da – aber der praktische Weg bleibt voller Stolpersteine. Hosting, Sicherheit, Wartung, Datenschutz – all das kommt oben drauf.
Aber der psychologische Shift ist längst passiert:
Ich könnte es selbst machen. Und das alleine reicht oft schon, um das Geschäftsmodell großer Anbieter ins Wanken zu bringen.
Von Plattformen zu Micro-SaaS: Die neue Produktlogik
Was mich fasziniert: Wir erleben gerade eine Verschiebung vom „Alles-in-einem“-SaaS hin zu kleinen, fokussierten Tools – oft gebaut von einzelnen Entwicklern, manchmal sogar als Nebenprojekt. Diese sogenannten Micro-SaaS-Produkte sind nicht mehr Ausnahme, sondern Teil einer wachsenden Produktlogik.
Ein Tool, eine Aufgabe, direkt gelöst.
Ein klarer Anwendungsfall, schnell gebaut, schön verpackt – und mit Launch-Tools wie Lovable in wenigen Klicks online.
Ich sehe immer häufiger, wie kleine Einzelfunktionen aus großen Plattformen herausgelöst und als eigene Micro-Apps neu interpretiert werden. Kein überladenes UI, kein teures Onboarding, kein riesiges Funktionsset, das niemand nutzt. Einfach ein smarter Fokus auf ein konkretes Problem – und das reicht vielen Nutzer:innen heute.
Sam Altman hat kürzlich geschrieben, dass wir in das Zeitalter der „Idea Guys“ eintreten:
„For a long time, technical people in the startup industry have made fun of ‘the idea guys’; people who had an idea and were looking for a team to build it. It now looks to me like they are about to have their day in the sun.“ (Quelle)

Und genau das gefällt mir an diesem Wandel:
Menschen mit Ideen – nicht zwingend mit Engineering-Background – können heute Dinge umsetzen, launchen, testen. Die Hürde zwischen Gedanke und Produkt war noch nie so niedrig.
Aber genau darin liegt auch die Unsicherheit:
Je mehr Ideen realisiert werden, desto instabiler wird das Spielfeld für etablierte SaaS-Firmen. Plötzlich tauchen neue Wettbewerber auf – über Nacht, aus der Nische, mit Fokus auf nur eine kleine Lücke im Produkt.
Für große Plattformanbieter bedeutet das: Der Druck steigt. Und zwar massiv.
Natürlich bringt dieser Trend auch Risiken mit sich:
- Nicht jedes Micro-Tool ist skalierbar
- Support und Weiterentwicklung sind oft unklar
- Die technische Basis kann fragil sein
- Datenschutz? Ein Thema für später – leider
Aber trotzdem: Die Produkt-DNA verändert sich.
Früher: „Baue eine Plattform, erweitere die Features, binde den Nutzer.“
Heute: „Löse ein Problem. Schnell. Sauber. Intuitiv.“
Und diese Denke ist nicht nur effizienter – sie passt auch besser zur Art, wie moderne Tools heute gebaut werden: iterativ, explorativ, KI-unterstützt.
Ich glaube, genau hier entsteht eine neue Welle. Und sie rollt schneller, als viele denken.
David gegen Goliath? Wie große SaaS-Unternehmen reagieren könnten
Ich stelle mir oft die Frage: Wie fühlt sich dieser Wandel eigentlich von innen an – in einem großen SaaS-Unternehmen, mit Hunderten von Mitarbeiter:innen, festen Prozessen, Legacy-Code und Quartalszielen?
Wenn da draußen plötzlich Einzelpersonen in wenigen Tagen funktionale Alternativen veröffentlichen, ist das nicht einfach nur ein Trend. Es ist ein kultureller Schock.
Der Unterschied ist nicht nur technologisch – er ist strukturell.
Große Unternehmen sind nicht dafür gebaut, schnell zu iterieren. Sie sind dafür gebaut, sicher zu liefern. Und genau das wird jetzt zur Herausforderung.
Ich glaube, kluge Firmen haben nur eine Chance: selbst zu Buildern werden.
Das bedeutet:
- KI-Coding intern adaptieren – nicht nur beobachten
- Interne Tools mit Cursor & Co. schneller shippen
- Feature-Tests in Tagen, nicht Quartalen
- Teams empowern statt Prozesse verteidigen
Aber der Shift ist nicht einfach. Denn je größer das Unternehmen, desto stärker die Trägheit.
Der Widerstand sitzt oft nicht im Code – sondern in der Organisation.
Und trotzdem: Wenn große SaaS-Firmen es schaffen, die Werkzeuge der „Neuen“ selbst zu nutzen, könnten sie wieder Tempo aufnehmen – und ihre Infrastruktur mit der Agilität kleiner Teams kombinieren.
Gelingt das nicht, wird es gefährlich.
Ich halte es für sehr realistisch, dass wir in den kommenden Jahren:
- größere Entlassungswellen sehen
- eine Neuverteilung der Marktanteile erleben
- und klassische SaaS-Modelle durch Toolchains aus vielen Microtools ersetzt werden
Nicht über Nacht. Aber schrittweise.
Der Goliath muss jetzt lernen zu rennen. Sonst wird er abgehängt.
Wer profitiert – und wer nicht?
Nicht jeder ist bereit für diese neue Welt.
Auf den ersten Blick wirkt alles offen: Jeder kann bauen, jeder kann launchen, jeder kann „gründen“. Aber die Realität ist – wie so oft – komplexer.
Die, die profitieren, sind vor allem:
- Einzelpersonen mit technischem Grundverständnis und Neugier
- kleine Agenturen, die schnell Ideen umsetzen können
- Indie Hacker, die sich zwischen Projekt und Produkt bewegen
- interne Teams, die Mut zur Lücke haben und Tools wie Cursor ernsthaft einsetzen
Für diese Gruppen ist das ein goldenes Zeitalter.
Die Toolchain ist da, der Zugang ist offen, das Momentum stimmt.
Aber: Die Kehrseite ist nicht zu unterschätzen.
Viele der neuen Microtools sind instabil, schlecht dokumentiert, kaum wartbar. Datenschutz ist oft ein Nachgedanke, Skalierbarkeit eine offene Frage. Und selbst wenn der MVP funktioniert – ein gutes Produkt ist mehr als nur funktionierender Code. Es braucht Vertrauen, Support, Weiterentwicklung, Businessmodell.
Ich glaube: Die nächsten Jahre werden auch viele gescheiterte Projekte sehen.
Nicht weil die Idee schlecht war – sondern weil der Unterbau nicht gehalten hat.
Und Nutzer:innen?
Sie stehen zunehmend vor der Entscheidung: Will ich ein leichtes, günstiges Tool von einer Person – oder einen teureren, aber stabilen Service von einem etablierten Anbieter?
Die Antwort wird oft situativ sein. Aber sie wird immer weniger automatisch zugunsten der großen Firmen ausfallen.
Wir bewegen uns in ein Spannungsfeld zwischen:
- Zugänglichkeit vs. Zuverlässigkeit
- Schnelligkeit vs. Tiefe
- Individualität vs. Vertrauen
Wer das versteht – und aktiv managen kann – wird gewinnen.
Fazit: Das Spielfeld wird neu gezeichnet
Ich glaube nicht, dass große SaaS-Firmen morgen verschwinden. Aber ich bin überzeugt, dass ihr Vorsprung nicht mehr selbstverständlich ist.
Die Kombination aus KI-Coding, neuen Toolchains und einer wachsenden „Ich bau das einfach selbst“-Mentalität hat das Spielfeld neu gezeichnet. Und zwar leise, aber tiefgreifend.
Was wir gerade sehen, ist nicht nur technischer Fortschritt – es ist ein struktureller Wandel:
- Von Plattform zu Microtool
- Von Organisation zu Solo-Build
- Von Planung zu Flow
Die Macht verschiebt sich. Nicht in jeder Nische. Nicht in jeder Branche. Aber oft genug, um große Wellen zu schlagen.
Ich persönlich finde das spannend – weil es Kreativen, Tüftlern, „Idea Guys“ plötzlich echte Werkzeuge in die Hand gibt. Die Zeit, in der eine gute Idee an Ressourcen scheiterte, ist vorbei. Jetzt zählt Umsetzung.
Aber das bedeutet auch: Mehr Konkurrenz, weniger Sicherheiten, schnellere Zyklen.
Für Unternehmen heißt das: Der Wandel ist nicht optional. Wer KI ignoriert, wird nicht langsamer – sondern unsichtbar.
Und für uns als Beobachter, Macher und Nutzer?
Wir stehen am Anfang einer neuen SaaS-Ära. Und noch wissen wir nicht, ob sie uns befreit – oder überrollt.
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